Sa 31. August 2024
20:30
Season Opening

Michael Mantler & The New Songs Ensemble (A/I/GB/DK/AUS)

Michael Mantler: trumpet
Annie Barbazza, John Greaves: voices
Gareth Davis: bass clarinet
Bjarne Roupé: guitar
Davd Helbock: piano
Koehne Quartet
Joanna Lewis: violin
Anne Harvey-Nagl: violin
Anna Magdalena Siakala-Teurezbacher: viola
Melissa Coleman: cello

Anlässlich der Veröffentlichung meiner neuen CD (Sempre Notte, Dark Companion Records) mit Liedern, die ich letztes Jahr im Porgy & Bess live aufgenommen habe, kehre ich mit Annie Barbazza, John Greaves und dem New Songs Ensemble zurück.

Obwohl ein Teil des Originalmaterials (Lieder mit Texten von Samuel Beckett, Ernst Meister, Giuseppe Ungaretti und Harold Pinter) natürlich enthalten sein wird, wird es keine Wiederholung des letztjährigen Konzerts sein, sondern auch neue Versionen anderer zuvor aufgenommener, aber nicht aufgeführter Lieder mit Texten von Samuel Beckett und Philippe Soupault (auf Französisch, aus Many Have No Speech), Paul Auster (Hide and Seek) und Edward Gorey (The Hapless Child).

Ich hatte John Greaves bereits 1976 kennengelernt, als ich mit ihm in meinem Grog Kill-Studio in den USA an den Aufnahmen zu seinem kultigen Kew Rhone-Album arbeitete. 1987 trafen wir uns dann erneut für mein Live-Projekt (mit Jack Bruce, Nick Mason, Don Preston, Rick Fenn), und 1996 wirkte er auch an meinem opernähnlichen Projekt School Of Understanding mit. Wir sind über die Jahre immer in Kontakt geblieben, und er war maßgeblich daran beteiligt, Himiko Paganotti für mein Comment C'est-Album vorzuschlagen, und jetzt, für dieses neue Projekt, hat er mir Annie Barbazza vorgestellt, eine enorm talentierte Sängerin und eine besonders gute Wahl, da das Programm eine Reihe von Liedern mit italienischen Texten von Giuseppe Ungaretti enthält.

Bjarne Roupé ist mein Lieblingsgitarrist, seit ich nach Europa zurückgekehrt bin, angefangen mit Aufführungen und Aufnahmen meines Cerco Un Paese Innocente im Jahr 1994, dann als Mitglied meines Ensembles Chamber Music and Songs für ein Porträtkonzert im Porgy im Jahr 2006 und schließlich als Mitwirkender bei praktisch all meinen weiteren Projekten/Alben: School Of Understanding, Songs And One Symphony, Hide And Seek, Concertos, For Two, The Jazz Composer's Orchestra Update und schließlich mein letztes Album Coda.

David Helbock, ein weiterer von mir sehr geschätzter Mitwirkender mit einem außergewöhnlichen Verständnis für meine Musik, war seit The Jazz Composer's Orchestra Update an allen meinen Projekten beteiligt.

Und nicht zuletzt der vielseitige Bassklarinettist Gareth Davis, der allein für die Initiierung des Projekts Original Songs verantwortlich war und unermüdlich weiter versucht, diese Musik zu präsentieren.

Unterstützt werden die Sänger und Solisten wieder von vier Streichern, diesmal in Form des Koehne String Quartet, einer der herausragenden Interpreten zeitgenössischer Musik, gegründet 1987 von Joanna Lewis, die in der Vergangenheit auch an vielen meiner Projekte beteiligt war. (Michael Mantler)

80 Jahre Michael Mantler, 30 Jahre Porgy & Bess. Welch feines Zusammentreffen für einen unprätentiösen, gehaltvollen musikalischen Abend um einen herausragenden österreichischen Musiker und eine gleichsam verdienstvolle Initiative, genaugenommen unverzichtbare Institution der globalen Jazzclub-Szene zu feiern. Mantler, vor längerem beschlossen habend keine neue Musik mehr zu schreiben, hat nun zumindest einige Songs aus seinem OEuvre runderneuert. Darunter einige, welche er in seinem letztjährigen Programm „Songs“ in großer Besetzung mit umfangreicher Vokal- und Bläserabteilung realisierte. Nunmehr hat der Komponist für die Neufassungen eine abgespeckte, kammermusikalische Ensemblegröße gewählt. Wie man weiß ist das Interesse Mantlers an der Symbiose von Literatur und Musik ein großes. Abermals bilden sprachneuernde Weltliteratur einiger seiner Favoriten - Ernst Meister, Samuel Becket, Giuseppe Ungaretti, Harold Pinter – aber auch eigene Texte, die die sich ausbreitende menschliche Verrohung, die Diffamierung des Respektverhältnisses, den zunehmenden Abbau an Sozialhygiene ansprechen, die Sprachbasis der Lieder. Zu diesem Behufe war und ist Mantler ständig auf der Suche nach prädestinierten, charakterhaften Stimmen. Wiederum hat er eine solche entdeckt. Jene der jungen italienischen Sängerin Annie Barbazza. Eine der derzeit bestechenden Stimmen des Progressive Rock. Gemeinsam mit John Greaves, seinerzeit Bassist/Sänger der famosen Free Rock-Band Henry Cow, mit dem sie auch ein Duo unterhält, verleiht sie den Texten musikalische Wertigkeit. Voller Herzblut und Dringlichkeit. Entlang von Mantlers mollig linearen Melodiefortschreitungen, die auch dessen legatomäßiges Trompetenspiel prägen, das diesmal in seiner strengen Sangbarkeit besonders leuchtet. Zu Barbazzas extrovertierten Vokalismen setzt Greaves den verlangten ruhepoligen Gesangspart. Text und Musik lumineszieren in verwinkelten Leitlinien. Und wie auch beim Instrumentalmaterial nützt Mantler Grundlagen verschiedener Idiome als Transmitter für SEINEN musikalischen Bauplan. „Ich verwende alles, es kommt auf die Gelegenheit an“, äußerte Mantler einmal in einem Interview. Die komplexen, dunkelfarbigen Arrangements der Songs sind gefasst in einer Diktion bestimmt von nonkonformen Intervallen, synkopisch-aperiodischer und gleichzeitig schlagkräftiger Rhythmik in der etliches an Rockgestus steckt, eingedenk vertrackter Taktwechsel, sowie sich überlagernder polyphoner Stimmführungen die als dichte, aber keineswegs alles überdeckende, Rasterungen konstruiert sind. Ausgangspunkt in den textbasierten Stücken ist eine signalartige Motivik. Abgeleitet von den Texten. Die Tonalität, häufig durchchromatisiert, ist bis an die Grenzen gedehnt. Mit einer sperrig romantischen Eleganz, die einer klagenden Nachdenklichkeit gleicht. Aber keine desillusionierende, resignative. Vielmehr ein Anstoß zu gesellschaftspolitischem Umdenken. Mit seinem wunderbaren Eigensinn verteilte Mantler die Texturen auf die einzelnen Instrumente, Instrumentengruppen. In zurückhaltender Virtuosität. Pianist Helbock und das radio string quartet betreiben die fassettenreiche harmonische Rhetorik, in der ungewöhnliche Klangfarben blühen, Bassklarinettist Davis nimmt zudem die rhythmische Initiativrolle ein. Roupé belebt die melodisch kontrastierenden, langgezogenen Schwellklänge. Bemerkenswert einmal mehr wie Mantler den Klangkörper zu einem konzentrierten, ineinandergreifenden Organismus zusammengezogen hat. Eine locker eloquente Präzision vermittelnd. Obendrein steckt in den Songs eine Weitervermessung der Weill-/Eislerschen Errungenschaften für das Kunstlied.

Mantler inszeniert Lieder für gegenseitiges Verständnis. Als weitere wertschätzende Geste an diesem Abend wurde Michael Mantler das Goldene Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich verliehen. Wird das auch die Türen zu Tempeln der Hochkultur öffnen? Ansonsten, im hochstufigen Jazzclub sind immer Tür und Tor geöffnet. Punktum. (Hannes Schweiger)