Portrait Kirk Lightsey

Kirk Lightsey: Der mit dem Jazz-Piano flüstert

Ob im Sunset/Sunside von Paris, dem No Black Tie in Kuala Lumpur oder dem Porgy & Bess im Herzen von Wien - wer den großen Jazz-Pianisten Kirk Lightsey irgendwo auf dieser Welt schon einmal live erlebt hat, hat mit ziemlich großer Sicherheit eine bleibende Erinnerung davongetragen. Der heute 86-Jährige und immer noch voll aktive Amerikaner hat die Musikgeschichte über Jahrzehnte hinweg mitgeprägt und sich dabei mit den unterschiedlichsten Stars fusioniert. Er war unter anderem der erste Hauspianist der kultigen Motown-Labels in seiner Geburtsstadt Detroit und spielte in Produktionen mit Stevie Wonder, den Four Tops oder Marvin Gaye. „Die Szene dort ging gerade so richtig los“, erinnert er sich im „Krone“-Gespräch, „es war eine grandiose Zeit, die mich musikalisch sehr geprägt hat.“

Firm in den Jazz-Metropolen

Dass Lightsey zu einem der profiliertesten Pianisten der Jazz-Historie werden sollte, war anfangs noch unklar. „Ich war ursprünglich Klarinettist, der auch am Klavier saß“, lacht er, „in der Schule musste ich mich für ein Instrument entscheiden. Ich wollte, wie die meisten damals, das Saxofon spielen, aber mir wurde die Klarinette in die Hand gedrückt“. Mit dem Piano ging es parallel weiter und die Musik hat ihn während seiner Zeit in der Army auch davor beschützt, in den Krieg ziehen zu müssen. Von Detroit kam Lightsey zuerst einmal nach Chicago, wo er unter anderem mit dem Bassisten Vernon Martin musizierte und in Trio-Besetzung in Hotels sein Spiel verfeinerte. Den Jazz-Wettkampf zwischen Saxofonisten und Bassisten verfolgte er stets augenzwinkernd, der Umzug in die Genre-Metropole New York folgte, Detroit war aber nie weit von Lightsey entfernt.

Über die Jahre spielte und tourte er mit unsterblichen Größen wie Chet Baker, Melba Liston, Kenny Burrell oder Pharaoh Sanders. Als besonders prägend erwies sich das Zusammenspiel mit dem kalifornischen Tenorsaxofonisten Dexter Gordon, in dessen Band er gute drei Jahre lang mit präzisem und emotionalem Spiel überzeugte. In seiner Vita sticht auch die All-Star-Band The Leaders mit u.a. Arthur Blythe, Chico Freeman oder Lester Bowie heraus. „Ich habe mit so vielen tollen Musikern zusammengespielt, ich kann mich gar nicht mehr an alle erinnern. Manches ist schon ziemlich lange her und mein Hirn funktioniert nicht mehr so gut wie früher.“ Mit 87 ist Lightsey noch immer in Hochform, im Porgy & Bess huldigt er dem in diesem Jahr verstorbenen Wayne Shorter, mit dem er ebenfalls zusammenspielte.

Nicht in Angst sterben

Die 2020er-Jahre sind die bereits achte Dekade, in der Lightsey als Profimusiker tätig ist. Wenn er sein aufregendes Leben subsumiert, kommt so einiges zusammen. Viel Memorables, aber auch so manch weniger schöne Anekdoten. „Ich habe quasi drei Kriege und mehrere Rassenaufstände erlebt. Zwei in Detroit, einen in Los Angeles. Die Corona-Pandemie hat mich aber fast am schwersten aus der Bahn geworfen, weil niemand damit rechnete und keiner wusste, was zu tun ist. In Angst zu sterben hat aber noch niemandem geholfen, das habe ich im Laufe meines Lebens gelernt. Ich kam ganz gut damit zurecht und hoffe, dass es noch länger gut für mich weitergeht.“ Seit mehr als 30 Jahren lebt Lightsey nun mit seiner Frau Nathalie in Paris, doch einzelne Auftritte oder Auszeichnungen führen ihn immer wieder zurück in die alte Heimat USA.

Erst 2021 legte Lightsey mit dem herrlich entrückten Piano-Album „I Will Never Stop Loving You“ ein wunderbar zartfühlendes Alterswerk vor, das er mit seinem alten Weggefährten und Produzenten Simon Belelty in einem Pariser Vorort einspielte. „Er sagte mir, er wolle mich unbedingt im Studio haben, um ein paar Songs einzuspielen. Daraus wurde dann plötzlich ein Album, das gar nicht so schlecht gelungen ist.“ Der üblicherweise an einem Steinway-Flügel sitzende Lightsey spielte das Album auf einem Fazioli-Klavier ein, seine gar nicht so geheime Lieblingsmarke. „Der Albumtitel gilt meiner Frau und meiner Familie, aber auch meiner Liebe zur Musik“, reflektiert er mit einem jugendlichen Schmunzeln, „sie hat sich nie verändert und wurde auch von den Wirren der Pandemie nicht nachhaltig verstört.“

Stückweise Memoiren

Wenn Lightsey, so wie derzeit, nicht gerade wieder auf Tour ist und live spielt, schreibt er zunehmend Anekdoten, Erlebnisse und Erfahrungen aus seinem reichhaltigen Lebensschatz nieder. Unterstützt wird er dabei von seiner alten Freundin und Professorin Mary Folliet aus New York. „Die Idee für das Buch ,Coming And Going‘ kam mir schon vor einiger Zeit und wir haben vor etwa zwölf Jahren damit begonnen. Mary ist dafür verantwortlich, dass jetzt endlich wieder was weitergeht.“ Auf einer eigenen Website gibt der Künstler seinen Fans in sektoralen Einzelkapiteln tiefere Einblicke in sein Leben und sein Schaffen. „Ich erinnere mich noch an vieles, aber das meiste entstand aus den Erinnerungen der Menschen, die mich ein Stück meines Weges begleitet haben. Es wird jedenfalls mehr und mehr - wie ein kleines Wikipedia.“ Und wer weiß, vielleicht ist ja sogar noch ein weiteres Album möglich … (Robert Fröwein, 26. Dezember 2023)